Antibiotikaresistenzen und gesellschaftliche Tabuisierung als Gegner effektiver Therapien

Weltweit werden pro Jahr etwa 340 Millionen neue Fälle von Sexuell übertragbaren Krankheiten erworben, betroffen sind vor allem Männer und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren. Während die Übersexualisierung der Gesellschaft im Alltag fortschreitet, nimmt gleichzeitig auch die Tabuisierung der Geschlechtskrankheiten zu. Präventionskampagnen – ähnlich der AIDS-Aufklärung seit 1987 – sind aufwändig, da es viele unterschiedliche Erreger gibt. Ein neues Problem stellen nun steigende Antibiotikaresistenzen dar, die bei den bakteriell ausgelösten Krankheiten beobachtet werden. Die häufigsten Sexuell übertragbaren Krankheiten

Sexuell übertragbare Erkrankungen oder Infektionen – STD (sexually transmitted diseases) und STI (sexually transmitted infections) – sind jene Krankheiten, die hauptsächlich durch sexuelle Kontakte übertragen werden können – hierzu gehören auch Finger- und Zungenkontakte sowie die Übertragung durch Sexspielzeug. Verursacher sind Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen und Arthropoden. Zu den häufigsten bakteriellen STI gehören Chlamydien, Syphilis und Gonorrhoe. Zu den viralen STI gehören neben HIV auch

Antibiotikaresistenzen und gesellschaftliche Tabuisierung als Gegner effektiver Therapien

Weltweit werden pro Jahr etwa 340 Millionen neue Fälle von Sexuell übertragbaren Krankheiten erworben, betroffen sind vor allem Männer und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren. Während die Übersexualisierung der Gesellschaft im Alltag fortschreitet, nimmt gleichzeitig auch die Tabuisierung der Geschlechtskrankheiten zu. Präventionskampagnen – ähnlich der AIDS-Aufklärung seit 1987 – sind aufwändig, da es viele unterschiedliche Erreger gibt. Ein neues Problem stellen nun steigende Antibiotikaresistenzen dar, die bei den bakteriell ausgelösten Krankheiten beobachtet werden.

Die häufigsten Sexuell übertragbaren Krankheiten

Sexuell übertragbare Erkrankungen oder Infektionen – STD (sexually transmitted diseases) und STI (sexually transmitted infections) – sind jene Krankheiten, die hauptsächlich durch sexuelle Kontakte übertragen werden können – hierzu gehören auch Finger- und Zungenkontakte sowie die Übertragung durch Sexspielzeug. Verursacher sind Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen und Arthropoden. Zu den häufigsten bakteriellen STI gehören Chlamydien, Syphilis und Gonorrhoe. Zu den viralen STI gehören neben HIV auch

Humane Papillomaviren (HPV), Herpes genitalis und Hepatitis B und C. Die häufigste parasitäre STI wird durch Trichomonas vaginalis verursacht. Auch Filzläuse und Krätze können sexuell übertragen werden. Unzureichend  ist die Datenlage zu STI in Deutschland, es gibt nur zu sehr wenigen Aspekten wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Epidemiologische Zahlen liegen nur für HIV und Syphilis vor, für alle anderen STI fehlt eine bundesweit einheitliche Dokumentation.

Deutschland im internationalen Vergleich

Aufgrund der HIV-Epidemie in den 1980er und 1990er Jahren gingen in den westlichen Industrienationen die sexuell übertragbaren Erkrankungen stark zurück. Seit 2000 zeigt sich wieder eine 3-5 fache Steigerung der HIV-Infektionszahlen in den westlichen Ländern, große Anstiege der HIV/STI-Inzidenz finden sich in fast allen früheren Sowjetstaaten und China.

Deutschland weist, trotz Verdopplung der HIV Infektionszahlen, nach Finnland und Andorra seit etwa fünf Jahren konstant die geringsten HIV-Inzidenzen mit etwa3.000 Fällen pro Jahr auf. Die Inzidenzen für Syphilis und Gonorrhoe haben sich in den letzten zehn Jahren verfünffacht und steigen weiterhin jährlich auf 4.600 Syphilis- und 16.000 Gonorrhoe-Fälle an; Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Diese Infektionen werden bis zu 90% von Menschen mit Hochrisikokontakten für sexuell übertragbare Infektionen erworben: häufiger Partnerwechsel, keine Benutzung von Kondomen, Risiko durch Sexualpraktiken, bei denen es auch zu kleineren, nicht bemerkbaren Verletzungen kommt.

Infektionen mit Chlamydien, humanen Papiloma Viren (HPV) und Herpes simplex Infektionen treten bei jungen Menschen, die erste sexuelle Erfahrungen gewinnen und sich dabei mit diesen Erregern infizieren, gehäuft auf – geschätzt etwa 80.000 Infektionen jährlich.

An STI Erkrankte haben ein deutlich erhöhtes Risiko, sich mit HIV zu infizieren. HIV wird etwa dreifach mehr übertragen, wenn im Bereich der Genitalschleimhäute entzündliche Veränderungen vorliegen, die eine wichtige Ein- und Austrittspforte für HIV bilden. Umgekehrt tragen auch HIV-Infizierte ein erhöhtes Risiko, sich mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken.

Häufigste Infektion durch HPV und ihre Beteiligung an Tumorerkrankungen

HPV-Infektionen sind die häufigsten STI. Eine HPV-Infektion ist bis zu 60% bei 20-jährigen Männern und Frauen zu finden.Derzeit sind mehr als 150 HPV-Typen komplett klassifiziert worden, kontinuierlich werden neue HPV-Typen entdeckt. Von klinischer Relevanz sind bisher etwa 40 HPV-Typen, die überwiegend im Anogenitalbereich vorkommen.

Sexuelle Kontakte mit nur wenigen unterschiedlichen sexuellen Partnern sind bei der Durchseuchung in Europa ausreichend, um eine hohe Prävalenz zu erreichen: In Deutschland wird von 60.000 Infektionen pro Jahr ausgegangen. Auch hier waren die Zahlen Ende des letzten Jahrtausends deutlich geringer und sind seit dem Jahr 2000 wieder stark angestiegen. Durch mittlerweile etablierte Sexualpraktiken wie Oral- und Analverkehr nehmen Infektionen im Hals- und Rachenraum zu, was demWandel sexueller Normalität zugeschrieben werden kann. So haben etwa 30% der heterosexuellen Paare Analsex, eine vor einigen Jahren noch von den meisten Menschen als ‚unnormal' bezeichnete Spielart.

Hochrisiko-HPV sind für die Entstehung von anogenitalen Karzinomen verantwortlich. Mehr als 99% aller Zervixkarzinome und mehr als 90% aller Analkarzinome sind HPV-positiv. Weiter kann bei bis zu 70% aller Karzinome des Penis, der Vulva und der Vagina HPV nachgewiesen werden. Bis zu 30% der Karzinome im Hals- und Nackenbereich (insbesondere Tonsillenkarzinome) werden durch HPV verursacht. Durch die hohe Relevanz der HPV-Infektionen fordern Experten mit Nachdruck politische Entscheidungen zur Stärkung der Impfung gegen Humane Papillomviren.

Therapierfolge und Rückschläge

Während bei AIDS, Hepatitis und Syphilis große Therapieerfolge zu verzeichnen sind, bereiten Antibiotikaresistenzen den Medizinern große Sorge. Vor allem bei der Gonorrhö entwickeln sich seit einiger Zeit gefährliche Resistenzen, in Japan sind komplett immune Gonokokken entdeckt worden. „Die pharmazeutische Forschung muss intensiviert werden und der Gesetzgeber sollte steuernd eingreifen“, fordert Professor Dr. Norbert H. Brockmeyer, Präsident der Deutsche STI-Gesellschaft (DSTIG) und Dermatologe an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum. So nimmt der Antibiotikaverbrauch in der Tiermast absurde Relationen an, in den Niederlanden beispielsweise werden für die Tiermast fünfmal mehr Antibiotika angewendet als für die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung. Die Entwicklung von Resistenzen ist somit vorgezeichnet.

Chlamydien als Ursache ungewollter Kinderlosigkeit

In Deutschland finden sich jährlich etwa 100.000 genitale Infektionen mit Chlamydia Trachomatis, dem häufigsten bakteriellen, sexuell übertragbaren Erreger – mit der Vermutung einer sehr hohen Dunkelziffer. Vor allem junge Frauen bis 25 Jahre sind betroffen, oftmals auch in Verbindung mit HPV. Chlamydien sind kleinste gramnegative Erreger, die sich wie Viren ausschließlich in Zellen vermehren können und vor allem im Gebärmutterhals und in der Harnröhre Entzündungen verursachen. Bleiben diese (trotz des kostenlosen, jährlichen Screeningangebots bis zum 25. Lebensjahr)unerkannt und werden chronisch, kann durch den Verschluss der Eileiter eine Sterilität ausgehen. Schätzungen der DSTIG liegen bei derzeit betroffenen 100.000 Frauen.

Die Krankheit der Männer – Syphilis

Die Syphilis hat sich unter Männern, die Sex mit Männern haben, in den letzten zehn Jahren verfünffacht, vor allem in Nordamerika und Europa. Die Übertragung des Syphiliserregers erfolgt in aller Regel nur von feuchter Schleimhaut auf feuchte Schleimhaut (genital, anal, oral), eine Übertragung findet fast ausschließlich bei sexuellen Kontakten statt. Unbehandelt kann sie über mehrere Jahrzehnte und in vier klinischen Stadien bis zum Lebensende verlaufen, ist aber auch spontan heilbar. Penicillin ist bis heute die Therapie der Wahl, Resistenzen wurden bisher nicht beobachtet. Eine gleichzeitige Erkrankung an einer HIV-Infektion und einer Syphilis führt zu erheblichen gegenseitigen Beeinflussung: Die Syphilis erleichtert die HIV-Übertragung und verschlechtert den Krankheitsverlauf, die HIV-bedingte Immundefizienz beeinflusst die Klinik der Syphilis, die Ergebnisse der Nachweismethoden und die Therapie.

Die Gefahren der stillen Gonorrhöe

Die Gonorrhoe stellt nach Schätzungen der WHO die dritthäufigste sexuell übertragene Infektion der Welt dar. In Deutschland sind ebenfalls am häufigsten MSM betroffen. Die Infektion der Harnröhre des Mannes verursacht meist akute Symptome, die in der Regel zu frühzeitiger Behandlung führen.

Bei Infektionen des Rektums oder des Rachenraums ist das jedoch meist nicht der Fall, sodass sie vielfach nicht erkannt werden. Auch bei Frauen verläuft die Gonorrhoe häufig asymptomatisch, was das Risiko aufsteigender Infektionen erhöht. Die Gonorrhoe ist neben der Chlamydieninfektion eine wesentliche Ursache chronischer Entzündungen des kleinen Beckens mit der Folge der Sterilität. Im Gegensatz zum Chlamydien-Screening bei Frauen unter 25 Jahren oder im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien ist ein Screening auf Gonorrhoe in Deutschland bisher nicht vorgesehen. Als Mittel der ersten Wahl für die Behandlung gilt eine Kombinationstherapie mit zwei Antibiotika.

Seit Inkrafttreten des Infektions-Schutzgesetzes 2001 existiert in Deutschland für die Gonorrhoe keine Meldepflicht mehr, sodass hier kaum epidemiologische Daten zur Verfügung stehen. In Sachsen, dem einzigen Bundesland mit einer Meldepflicht für die Gonorrhoe, wurde eine Verdoppelung der gemeldeten Gonokokken-Infektionen von 6,8Infektionen/100.000 Einwohner im Jahr 2003 auf 13,7/100.000 im Jahr 2011 beobachtet.

Forderung der sexuellen Bildung

In Deutschland ist die DSTIG als medizinische Fachgesellschaft die stärkste Institution, die sich für Aufklärung, Prävention sowie optimierte Diagnostik und Therapie sexuell übertragbarer Infektionen in Politik und Gesellschaft einsetzt. „Nur wer Zugang zu Informationen hat, kennt seine Rechte und Möglichkeiten der medizinischen oder psychologischen Versorgung. Nur derjenige kann sich auch bewusst präventiv verhalten, Anzeichen für Missstände, Probleme und Krankheiten erkennen und Beratungs- und Behandlungsangebote finden und wahrnehmen“, fasst Brockmeyer das Engagement der in Bochum ansässigen Einrichtung zusammen.

Verbesserungswürdig in Deutschland sind auch die Versorgungsstruktur sowie die Stärkung der ärztlichen Kompetenz. Für den Bereich der Sexuellen Gesundheit besteht Handlungsbedarf in der ärztlichen Fortbildung. Dadurch könnte auch über die Leistungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes besser informiert werden, so dass auch niedergelassene Ärzte diese verstärkt in Anspruch nehmen könnten. Nach dem Vorbild Großbritanniens könnten integrierte Versorgungsstrukturen zu sexuell übertragbaren Infektionen und zur sexuellen Gesundheit Patienten aus einer Hand versorgen. Hierbei eingebunden sein sollten Selbsthilfegruppen, da mit diesen die Hemmschwelle der tabuisierten sexuell übertragbaren Erkrankungen rascher überwunden werden könnte.

Weiterführende Informationen

DSTDG-Leitlinie www.dstig.de 

Robert Koch-Institut (RKI). Schätzung der Prävalenz und Inzidenz von HIV-Infektionen in Deutschland, Stand Ende 2012. Epidemiologisches Bulletin 2012. 47: 465-476.

Robert Koch-Institut (RKI)2010.Sechs Jahre STD-Sentinel-Surveillance in Deutschland. Epidemiologisches Bulletin 3: 20-27.

BZgA: Infobroschüre der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung für Jugendliche und Erwachsene …ist da was?

H. Nitschke, F. Oliveira, A. Knappik, A. Bunte. 2011. Seismograf für Migration und Versor-gungsdefizite - STD-Sprechstunde im Gesundheitsamt Köln. Gesundheitswesen 73(11): 748-755.

Langanke H. et al., Standards in der Prävention sexuell übertragbarer Infektionen, Epidemiologisches Bulletin, 2010, 35:351-354.

Layer C, Hinzpeter B, Klapp C, Gille G. 2010. Ärztliches Aufklärungsgespräch – Fundament der STD-Prävention bei Mädchen und jungen Frauen. Der Gynäkologe, 43(12): 1033-1040.

Quelle: Berlin [ DDG ]

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