(BZfE) – Nachhaltige, transformative Ernährungsinitiativen und -unternehmen verursachen weniger soziale und ökologische Schäden. Sie haben allerdings oft höhere Koordinationskosten, die durch Beteiligungsprozesse verursacht sein können...
(BZfE) – Nachhaltige, transformative Ernährungsinitiativen und -unternehmen verursachen weniger soziale und ökologische Schäden. Sie haben allerdings oft höhere Koordinationskosten, die durch Beteiligungsprozesse verursacht sein können. Das begrenzt ihre Größe, sagen die Oldenburger Wissenschaftler Niko Paech und Carsten Sperling. Sie arbeiten seit 2015 im Forschungsprojekt NASCENT zusammen mit Kollegen der Universität Oldenburg vom Lehrstuhl Unternehmensführung und betriebliche Umweltpolitik, der Universität Stuttgart, Abteilung für Technik- und Umweltsoziologie, und der Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis. Das interdisziplinäre Team möchte herausfinden, welchen Beitrag nachhaltige Ernährungsinitiativen zu einer Transformation des Ernährungssystems leisten können.
Über 25 Praxispartner integrierten sie in ihre Studie. Dazu gehörten kleine und große, junge und erfahrene Projekte etwa Food Coops, Solidarische Landwirtschaften, Selbsternte-Gärten, Unternehmernetzwerke oder auch Erzeuger-Verbrauchergenossenschaften mit mehreren Millionen Euro Jahresumsatz.
Die neuen Wirtschaftsformen und -initiativen ersetzen konventionelle Handelsbeziehungen mehr und mehr durch solidarische Finanzierungsmodelle oder auch pauschale Vergütungen, stellten die Ökonomen fest. So sammelt beispielsweise der Olivenöl-Direktvermarkter Artefakt für seine Olivenöl-Produzenten zusätzlich Gelder von Spendern und Tauschinvestoren. Die Mittel werden z. B. eingesetzt, damit sich die Produzenten kleine, moderne Olivenölmühlen anschaffen können. Die Investitionen werden über 10 Jahre in Form von Olivenöl rückvergütet. „Wirtschaftshilfe von unten“ nennt das Unternehmen dieses Finanzierungskonzept.
In der solidarischen Landwirtschaft gibt es überhaupt keine Lebensmittelpreise mehr. Bei diesem Wirtschaftsmodell teilen sich Verbraucher und Produzenten gemeinsam die Kosten der Produktion, die Ernte und die Risiken. Produziert wird nicht mehr zu Marktpreisen, sondern es erfolgt ein transparenter, einvernehmlicher Austausch nach dem Prinzip: „Du bekommst, was Du brauchst. Ich gebe, was ich kann“. Ökonomische Gemeinschaften nennen Paech und Sperling dieses Wirtschaftsprinzip.
Gemeinsam ist den transformativen Unternehmen, dass sie auf Produkte und Arbeitsweisen wertlegen, die ganz bestimmte soziale und ökologische Qualitäten haben. Es geht ihnen um Vertrauen, um Mitwirkung der Verbraucher und um positive Wirkungen auf Natur, Lebensqualität, Gemeinschaft und soziales Lernen. Dafür haben sie aber auch einen besonderen Aufwand. Zusätzlich zu den Kosten für die Produktion und Koordination des Unternehmens identifizierten Sperling und Paech eine neue Kostenart, genannt „Transaktionskosten Typ 2“. Darunter verstehen sie den Aufwand, um partizipative Prozesse zu steuern und zu stabilisieren, zum Beispiel die Koordination von ehrenamtlicher Mitarbeit, die Verantwortungsteilung, das Management von Entscheidungsprozessen und Konflikten. Wer diese Kosten unterschätzt, der droht zu scheitern, warnen die Wissenschaftler. „Besonders herausfordernd für transformative Unternehmungen ist der Umgang mit persönlichen Konflikten“, weiß Sperling zu berichten.
Die Akteure identifizieren sich in der Regel sehr mit ihren Projekten. So werden knappe Finanzen durch großes Engagement kompensiert. Abgrenzungsprobleme können zum Burnout und zu zwischenmenschlichen Spannungen führen. Transformative Lebensmittelunternehmen müssen eine Balance finden zwischen zwei Kriterien: Sie müssen groß genug sein, um zu angemessenen Kosten produzieren zu können, und gleichzeitig klein genug sein, um die partizipativen Prozesse zu bewältigen. Im Zweifelsfall bedeutet Wachstum daher nicht, dass ein Unternehmen sich vergrößert, sondern dass aus einem Unternehmen mehrere kleine hervorgehen. „Das Besondere an transformativen Lebensmittelunternehmen ist nicht, dass sie z.B. ihre Lieferkette entsprechend den Nachhaltigkeitskriterien optimieren, sondern dass sie das Wirtschaften wieder einbetten in einen sozialen Zusammenhang. Dafür braucht es in manchen Fällen nicht einmal mehr Geld, aber dafür umso mehr Transparenz, Vertrauen und menschliches Feingefühl“, sagt Sperling.
Gesa Maschkowski, www.bzfe.de