Lücke zwischen Produktion und Verbrauch wird immer größer - Ausbau von Forschung und Innovationen dringend erforderlich - Deutschland droht Forschungsführerschaft zu verlieren - Podiumsdiskussion bei „Mestemacher Forum Zukunft“


Lücke zwischen Produktion und Verbrauch wird immer größer - Ausbau von Forschung und Innovationen dringend erforderlich - Deutschland droht Forschungsführerschaft zu verlieren - Podiumsdiskussion bei „Mestemacher Forum Zukunft“

Die Moderatorin und Diskussionsteilnehmer (v.l.n.r.) mit Dr. Hans Theo Jachmann, Udo Rettberg, Prof. Dr. Ulrike Detmers und Carl-Albrecht Bartmer.

Bild: DLG

Der weltweit steigende Bedarf an Lebens- und Futtermitteln sowie Bioenergie kann angesichts begrenzter Flächen nur gedeckt werden, wenn das auf den verschiedenen Standorten vorhandene Produktionspotenzial optimal ausgenutzt wird. Auf diese Notwendigkeit hat der Präsident der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft), Carl-AlbrechtBartmer, beim „Forum Zukunft“ der Großbäckerei Mestemacher jetzt in Frankfurt am Main hingewiesen. Für ihn als praktischen Landwirt bedeute es ein Stück „wahrgenommener Verantwortung“, vor allem gegenüber der Dritten Welt, an einem landwirtschaftlichen Gunststandort wie Deutschland auch am biologischen Optimum zu produzieren. „Bei einer nachhaltigen Nutzung aller weltweit vorhandenen Potenziale können genug Nahrungsmittel für alle und ein Teil des Mehrbedarfs an Energie produziert werden“, erklärte der DLG-Präsident im Rahmen der Podiumsdiskussion beim „Mestemacher Forum Zukunft“, in deren Mittelpunkt die Frage stand, ob es künftig einen Kampf um Nahrung geben werde.

„Mit mehr Sachverstand, mehr Innovationen, mehr Know-how und einem größeren Input größere Mengen auf begrenzter Fläche produzieren“, so lautet für Bartmer, der in Sachsen-Anhalt einen größeren Ackerbaubetrieb bewirtschaftet, das Motto für den Lösungsweg. In den letzten Jahren habe sich fast unbemerkt eine immer größere Lücke zwischen Verbrauch und Produktion aufgetan. Beim Getreide reichten die globalen Reserven inzwischen nur noch für 50 Tage. „Wir treiben maßlosen Egoismus, wenn wir die in Deutschland und Europa vorhandenen Potenziale nicht nutzen, beispielsweise durch suboptimalen Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln oder durch die Stilllegung von Flächen“, nannte der DLG-Präsident es. Tag für Tag gingen allein in Deutschland 100 ha teils fruchtbarstes Ackerland für Siedlungs- und Verkehrszwecke verloren. Um diese Flächenverluste auszugleichen, sei permanenter technischer Fortschritt unerlässlich.

Pflanzenzüchtung ein Schlüsselbereich

Ein Schlüssel zur Ertragssteigerung liegt für Bartmer in der Genetik der Pflanzen. Moderne Pflanzenzüchtung könne dabei nicht auf die grüne Gentechnik reduziert werden, die „nur ein zusätzliches Werkzeug für die Pflanzenzüchter darstellt“, wie er es formulierte. Wenn durch moderne Produktionsverfahren auf einem Hektar mehr geerntet werde, „dann wird nicht nur die Welt satt, sondern gleichzeitig können auf freiwerdenden Flächen auch Ziele wie die Steigerung der Biodiversität erreicht werden“, betonte er in Diskussion.

Welternährungsproblem: Konstruierter Widerspruch zwischen „industrialisierter Landwirtschaft“ und Kleinstbetrieben in Entwicklungsländern

Bei der Lösung des Welternährungsproblems werde immer wieder auf einen Widerspruch zwischen einer „industrialisierten Landwirtschaft hierzulande und einer stärkeren Selbstversorgung der Kleinstbetriebe in den Entwicklungsländern“ verwiesen. Dies ist für den DLG-Präsidenten ein „konstruierter Widerspruch, die Realität sieht anders aus“. Die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland seien unabhängig von ihrer Betriebsgröße nicht Teil eines arbeitsteiligen Prozesses, wie dies für industrielle Produktionsweisen kennzeichnend sei, sondern vielmehr unverzichtbarer Bestandteil der Volkswirtschaft, stellte Bartmer fest. Kennzeichen einer modernen Landwirtschaft unabhängig vom jeweiligen Standort sei es, dass alle Faktoren genutzt würden, um das Optimum aus einer begrenzten Fläche herauszuholen.

Um die Produktionspotenziale in den Entwicklungsländern zu heben, müssten die dortigen Kleinstbetriebe und Subsistenzwirtschaften massiv gefördert werden. Für den Ausbau dieser Förderung tritt der DLG-Präsident mit Nachdruck ein. Notwendig sei nicht nur die Bereitstellung von leistungsfähigem Saatgut. Ebenso unabdingbar seien die Verbesserung des Know hows und der Qualifizierung der dortigen Landwirte sowie der Aufbau von Infrastrukturen, um Erzeugnisse auch überregional vermarkten zu können.

Intensivierung das Gebot der Stunde, nicht Extensivierung – Verlieren Europa und Deutschland die Forschungsführerschaft?

Der Präsident des Industrieverbandes Agrar (IVA) und Geschäftsführer der Syngenta Agro GmbH und der Syngenta Germany GmbH, Dr. Hans Theo Jachmann, sieht die von ihm vertretene Zulieferindustrie angesichts der zunehmenden Lebensmittelknappheit in der Verantwortung, die Pflanzen zu ihrem biologischen Optimum zu bringen. „Da Flächen nicht vermehrt werden können, heißt das Gebot der Stunde Intensivierung und nicht Extensivierung“, unterstrich der IVA-Präsident. Daher seien in der Landwirtschaft verstärkte Forschungsanstrengungen und mehr Innovationen unabdingbar. Ziel müsse es sein, weltweit eine ausreichende Menge bezahlbarer Lebensmittel zu produzieren.

Um die wachsende Weltbevölkerung ausreichend mit Lebens- und Futtermitteln zu versorgen, müsse die Landwirtschaft bis zum Jahre 2030 nach Dr. Jachmanns Angaben bis zu 50 Prozent mehr Rohstoffe erzeugen. Daher müsse die klassische Pflanzenzüchtung gefördert werden. Als notwendig dafür bezeichnete er auch den Einsatz der grünen Gentechnik, mit der der züchterische Fortschritt beschleunigt werden könne.

Die Wiege des modernen Ackerbaus liege in Europa, betonte Dr. Jachmann. Namen wie Justus Liebig, Gregor Johann Mendel sowie Fritz Haber und Carl Bosch mit ihren richtungsweisenden Entwicklungen stehen dafür ebenso wie aktuell weltweit führende Unternehmen aus Deutschland bzw. aus Mitteleuropa. „Doch Deutschland und Europa sind gerade dabei, die Forschungs- und Meinungsführerschaft in diesem Bereich abzugeben und auf immer zu verlieren“, mahnte der IVA-Präsident. Daher müsse die Auseinandersetzung um den Fortschritt in der Pflanzenzüchtung mit der Gesellschaft geführt werden.

Aktuelle Nahrungsmittelknappheit: Unterlassene Investitionen machen sich bemerkbar

Für Udo Rettberg, Finanzkorrespondent des „Handelsblatts“, ist die aktuelle Nahrungsmittelknappheit auch eine Folge unterlassener Investitionen in die Landwirtschaft. In die gesamte Agrarwirtschaft sei mangels Rendite über Jahrzehnte zu wenig Geld geflossen, was sich jetzt mit Zeitverzögerung durch ausbleibende Produktionssteigerungen bemerkbar mache. Trotzdem sei es gelungen, eine innerhalb weniger Jahrzehnte von 3,5 auf fast 7 Milliarden Menschen wachsende Weltbevölkerung ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Mehr noch: die heutigen Preise für Agrarrohstoffe liegen hochgerechnet immer noch deutlich unter den bisherigen Höchstpreisen von 1974, wie Berechnungen des Finanzdienstleistungsunternehmens Goldman Sachs nach Angaben des Handelsblatt-Finanzexperten ergeben. Dies unterstreiche die hohe Produktivität und die Innovationskraft der Agrarwirtschaft, „wofür sie Lob von Politik und Gesellschaft verdient“, so Udo Rettberg. Die weitere Entwicklung der Preise für Agrarrohstoffe hänge entscheidend vom Ölpreis ab. Rettberg warnte allerdings davor, das globale Energieproblem mit Hilfe der Bioenergie vom Acker lösen zu wollen.

Nachfrageboom bei Rohstoffen für Bioprodukte – „Brauchen Arten- und Rohstoffvielfalt“

Prof. Dr. Ulrike Detmers, Mitgesellschafterin der Großbäckerei Mestemacher und Moderatorin der Podiumsdiskussion, verwies auf den extremen Nachfrageüberhang bei ökologisch erzeugten Backrohstoffen. Das knappe heimische Angebot treibe die Preise in die Höhe und mache Zukäufe bei immer weiter entfernten Rohstoffproduzenten notwendig. Dies verursache hohe Transportkosten und „ist aus Umweltsicht abzulehnen“, so Prof. Ulrike Detmers. Von der modernen Landwirtschaft erwarte sie „Artenvielfalt als Basis für Rohstoffvielfalt“. Mit dem „Forum Zukunft“ will die Mestemacher-Gruppe politisch brisante Themen pointiert und sachlich besprechen sowie Denkanstöße geben, um dadurch Nachhaltigkeit zu produzieren.

Quelle: Frankfurt am Main [ DLG ]

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