Erstes Bayreuth-Kulmbacher Fachgespräch - Aktuell

Professor Dannecker erläutert wie das deutsche Lebensmittelrecht langsam mit dem europäischen verschmilzt und hierdurch auch eine höhere Rechtssicherheit entwickelt: I. Die das Lebensmittelrecht beherrschenden Grundprinzipien

1.  Das LMBG enthält verwaltungsrechtliche Ge- und Verbote und knüpft erst an deren Verletzung straf- und bußgeldrechtliche Sanktionen. 

Erstes Bayreuth-Kulmbacher Fachgespräch - Aktuell

Professor Dannecker erläutert wie das deutsche Lebensmittelrecht langsam mit dem europäischen verschmilzt und hierdurch auch eine höhere Rechtssicherheit entwickelt:

I. Die das Lebensmittelrecht beherrschenden Grundprinzipien

1.  Das LMBG enthält verwaltungsrechtliche Ge- und Verbote und knüpft erst an deren Verletzung straf- und bußgeldrechtliche Sanktionen. 

2. Grundsätzlich beherrscht das Missbrauchsprinzip das Lebensmittelrecht: Die Herstellung und der Vertrieb von Lebensmitteln sind generell ohne vorhergehende Genehmigung erlaubt. 

3. Das Verbotsprinzip, nach dem es einer behördlichen Genehmigung bedarf, bildet die Ausnahme.

4. Jeder, der sich am Inverkehrbringen eines Lebensmittels beteiligt, ist für die Sicherheit des Lebensmittels verantwortlich (Kettenverantwortlichkeit).

5. Wer gegen lebensmittelrechtliche Ge- oder Verbote verstößt, macht sich strafbar oder kann mit Geldbuße geahndet werden. 

II. Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber nationalem Recht

6. Das Gemeinschaftsrecht hat Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht: Wenn Gemeinschaftsrecht und nationales Recht kollidieren, darf das nationale Recht nicht angewendet werden. 

7. Außerdem darf der nationale Gesetzgeber keine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende gesetzliche Regelung erlassen. 

III. Entwicklung des Gemeinschaftsrechts von 1962 bis zum Inkrafttreten der Basisverordnung

8. Das Lebensmittelrecht gehörte von Beginn an zu den Materien, denen die EG-Kommission besondere Aufmerksamkeit widmete, obwohl der Begriff des Lebensmittels im EG-Vertrag nicht vorkommt. 

9. Die EG verfolgte von 1962 bis 1985 das Konzept der Rechtsangleichung, nach dem an die Stelle einer jeden nationalen Vorschrift eine gemeinschaftsrechtliche treten sollte. Die Schaffung eines "europäischen Einheitsbreis" erwies sich als nicht durchführbar. 

10. Nach der "neuen Strategie", die im Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes vorgestellt wurde (1985), sollte der Gemeinsame Markt für den Handel durch gegenseitige Anerkennung und eine Mindestharmonisierung geschaffen werden. 

11. Die gegenseitige Anerkennung konnte auf Art. 28 EGV gestützt werden, wonach nationale Maßnahmen verboten sind, die den Verkehr übermäßig und in ungerechtfertigter Weise beschränken. Die Vorschriften der nationalen Lebensmittelrechtsordnungen enthalten klassische Fälle von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Sinne des Art. 28 EGV.

12. Die Freiheit des Warenverkehrs führt regelmäßig zur gegenseitigen Anerkennung jedes in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten oder  inverkehrgebrachten Lebensmittels in jedem anderen Mitgliedstaat.

13. Auch in den Sektoren, in denen Handelshemmnisse durch den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Bürger sowie durch den Schutz der Verbraucher und der Umwelt gerechtfertigt sind, sollten Grundvoraussetzungen für die Verkehrsfähigkeit eines Produkts in der ganzen Gemeinschaft festgelegt werden. 

14. Die Harmonisierung sollte in Anerkennung des Subsidiaritätsgrundsatzes auf folgende Regelungsmaterien beschränkt werden:

    • Schutz der öffentlichen Gesundheit,  
    • Bedürfnis der Verbraucher nach Unterrichtung und deren Schutz in nicht gesundheitlichen Bereichen, 
    • unlauterer Wettbewerb,  
    • Notwendigkeit der amtlichen Überwachung. 

15. Die Kommission verzichtete auf eine vertikale Harmonisierung durch Rezepturgesetze.

16. Maßgeblichen Einfluss auf das Lebensmittelrecht hatte das vom EuGH vertretene "Verbraucherleitbild", nach dem sich die Irreführung der Aufmachung eines Lebensmittels richtet. Der Gerichtshof stellt auf den "verständigen" Verbraucher ab.

IV.  Basisverordnung 2002

17. In der Basisverordnung, die im Jahre 2002 verabschiedet wurde, spiegelt sich als weitete Schwerpunktverlagerung wider, die als "ganzheitliche Betrachtung des Lebensmittelrechts" gekennzeichnet werden kann.

18. Nach Art. 2 Basisverordnung sind Lebensmittel definiert als Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. 

19. Nach Art. 3 Basisverordnung wird der Umgang mit Lebensmitteln auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen unter Einbeziehung der Primärproduktion und der der Futtermittelunternehmer geregelt. 

19.a Nach Art. 6 Basisverordnung ist Ziel der Risikoanalyse, ein hohes Maß an Schutz für Leben und Gesundheit zu erreichen. Dabei werden die Risiken bewertet und gezielte Maßnahmen entwickelt.

20. Art. 7 Basisverordnung betrifft das Vorsorgeprinzip Fälle mit möglicher gesundheitsschädlicher Auswirkung ohne ausreichende wissenschaftliche Belegbarkeit. In solchen Fällen sind Risikomaßnahmen zur Gesundheitsvorsorge in der Gemeinschaft möglich, bis eine umfassendere Risikobewertung vorliegt.

21. Art. 14 Abs. 1 Basisverordnung regelt die Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit. Bei der Beurteilung der Sicherheit sind auch die Auswirkungen des Lebensmittels auf nachfolgende Generationen zu berücksichtigen.

22. Art. 15 Basisverordnung regelt die Anforderungen an die Futtermittelsicherheit. Diese dürfen weder für Menschen noch für Tiere gesundheitsschädlich sein. 

23. Art. 16 Basisverordnung regelt die Aufmachung von Lebensmitteln: Verboten sind irreführende Darbietungen. 

24. Art. 17 Basisverordnung regelt die "Zuständigkeiten" für die Lebensmittelsicherheit und den Täuschungsschutz dahingehend, dass die Unternehmen die grundsätzliche Verantwortung für die Lebensmittelsicherheit haben (Abs. 1) und die Behörden für die Überwachung zuständig sind (Abs. 2). 

25. Art. 18 Basisverordnung legt den Lebensmittelunternehmen die konkrete Pflicht auf, die Rückverfolgbarkeit auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen sicherzustellen. 

VI. Neuregelung des nationalen Lebensmittelrechts 

26. Die Kommission die Rechtsform der Verordnung und nicht die einer in nationales Recht umzusetzenden Richtlinie gewählt. Daher stellt sich die Frage, was von den nationalen Lebensmittelgesetzen übrig bleiben wird. 

27. Der Gesetzgeber bereitet gegenwärtig ein Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts vor, um das Lebensmittelrecht entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben umzustrukturieren und den ganzheitlichen Ansatz "from stable to table; from farm to fork" zu verankern. 

28. Zukünftig wird die Notwendigkeit bestehen, das Gemeinschaftsrecht durch das nationale Recht zu ergänzen. Wenn Widersprüche auftreten, hat das Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht. 

29. Dies wird sicherlich nicht zu der von der Kommission eigentlich angestrebten Vereinfachung des Lebensmittelrechts, sondern zu einer Verkomplizierung führen, die die Lebensmittelunternehmer vor große Herausforderungen stellen wird.

Quelle: Kulmbach [ Gerhard Dannecker, Universität Bayreuth ]

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