Bulgarien und Rumänien werden frühestens Ende nächsten Jahres, spätestens 2008 der EU beitreten. Wie sind die neuen Länder aufgestellt, welche Potentiale und Risiken bringen sie mit und was kann die deutsche Ernährungsindustrie von der zweiten Runde der Osterweiterung erwarten?
Bulgarien und Rumänien werden frühestens Ende nächsten Jahres, spätestens 2008 der EU beitreten. Wie sind die neuen Länder aufgestellt, welche Potentiale und Risiken bringen sie mit und was kann die deutsche Ernährungsindustrie von der zweiten Runde der Osterweiterung erwarten?
Noch arm, aber reich an Potential, so lässt sich die aktuelle Situation der beiden Beitrittskandidaten umreißen. Das enorme Wohlstandsgefälle zwischen den beiden Beitrittsländern und den Ländern der EU-25 lässt sich anhand von ökonomischen Indikatoren eindrucksvoll illustrieren. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 58,9 Mrd. Euro (Rumänien) und 19,5 Mrd. Euro (Bulgarien) bilden die Länder zusammen mit der Slowakei (33,1 Mrd. Euro) die weit abgeschlagenen Schlusslichter im EU-Vergleich (819,1 Mrd. Euro). Bei der Kaufkraft sind der Bevölkerung Bulgariens und Rumäniens noch enge Grenzen gesetzt. So liegt das BIP pro Kopf in Kaufkraftstandards (KKS) in Rumänien verglichen mit dem Niveau in der EU 15 (100) bei einem Indexwert von nur 28 (Bulgarien) bzw. 27 (Rumänien).
Ungeachtet der noch deutlich sichtbaren ökonomischen Schwäche haben die Länder in den letzten Jahren in ihrer Entwicklung einen regelrechten Quantensprung vollzogen. Der Weg in eine modern strukturierte Wirtschaft mit großem Wachstumspotential ist vorgezeichnet. Beide Volkswirtschaften zeigen seit einigen Jahren ein konstantes und hohes Wirtschaftswachstum. So hat sich beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt in Rumänien seit 2001 fast verdoppelt und wächst real nach zögerlichen Anfängen zur Jahrhundertwende in der Größenordnung von 5% pro Jahr. Das BIP pro Kopf stieg im gleichen Zeitraum jahresdurchschnittlich um gut 19% und lag 2004 bei rund 2.646 Euro. Das einst fortschrittlichere Nachbarland Bulgarien hat es in der gleichen Zeit bei leicht geringerem Wachstum auf ein Pro-Kopf -BIP von etwa 2.488 Euro gebracht.
Auch wenn die hohen Wachstumsraten noch nicht wesentlich zum Wohlstand der Bevölkerung beigetragen haben und der Kaufkraft der Bevölkerung nach wie vor absolut gesehen noch enge Grenzen gesetzt sind, geht von dem kräftigen Wachstum des privaten Konsums eine deutliche Stimulanz aus. Durchschnittlich wächst der private Konsum durchschnittlich mit über 5% pro Jahr und stellt damit das Wachstum des Großteils der EU-Länder in den Schatten.
Voraussetzung für die gewachsene private Nachfrage sind nicht nur die Lohnsteigerungen im Inland, sondern auch die Transfers der im Ausland arbeitenden Rumänen und Bulgaren. Nach Schätzungen der Rumänischen Nationalbank belief sich die Höhe der Transferzahlungen aus dem Ausland auf über 3,5 Mrd. Euro. Dies entspricht über 4% des BIP oder über 160 Euro pro Kopf der Bevölkerung.
Der regelrechte Konsumboom ist ohne Frage auch eine Folge der enormen Konsumdefizite in der entbehrungsreichen Vergangenheit und wird sich nur für eine gewisse Zeit fortsetzten. Bis jedoch eine erste Sättigung erreicht ist, werden noch Jahre vergehen. Infolge der begrenzten agro-industrieller Ressourcen vor Ort kann die Binnennachfrage von der einheimischen Industrie kaum gedeckt werden. Die neuen Beitrittsländer sind in hohem Maße auf Lebensmittelimporte angewiesen. 2005 wurden deutsche Lebensmittel im Wert von 225,4 Mrd. Euro nach Rumänien, dem neben Polen zweitgrößten osteuropäischen Markt, exportiert. Damit haben die deutschen Lebensmittelausfuhren einen Anteil von 4% an den gesamten Ausfuhren nach Rumänien erreicht (2000: 2,8%). Der Lieferumfang an Nahrungsmitteln stieg zwischen 2000 und 2005 jahresduchschnittlich um gut 26%. Wertmäßig die weitaus stärkste Position im Lieferspektrum sind Fleisch und Fleischwaren (29,4%). Diese Produktgruppe weist mit einem jahresdurchschnittlichen Plus von über 58% zugleich eine der höchsten Wachstumsraten auf.
Die Sparte Fruchtsäfte entwickelt sich mit am dynamischsten und erzielte schon im vergangenen Jahr einen erheblichen über dem Durchschnitt liegenden Zuwachs von 60%. Bei einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von nur 3 l (Deutschland: 37 l) tut sich hier ein viel versprechender Teilmarkt auf. Auch in anderen Segmenten ist seit jüngster Zeit viel Bewegung zu erkennen. So wuchs beispielsweise der Markt für Schokolade 2004 um 25% (2003: +15%) auf etwa 200 Mio. Euro. Das Foodservice Segment ist zwar noch nicht stark ausgebildet, bringt aber einen weiteren Umsatz von etwa 1,6 Mrd. Euro. Der bevorstehende EU-Beitritt wird den Handel mit den neuen Beitrittsländern weiter vereinfachen und beleben. Guten Aussichten also für die deutschen Lebensmittelexporteure.
Den Chancen stehen selbstverständlich auch Risiken gegenüber. Das geschäftliche Umfeld ist noch nicht ideal. In dem vergangene Woche durch die EU-Kommission vorgelegten Fortschrittsbericht werden vor allem Defizite bei der Bekämpfung der Korruption und des organisierten Verbrechens sowie der Reform der Justiz bemängelt, doch ziehen die Länder bereits jetzt ausländische Direktinvestitionen in hohem Umfang an. Unter den Akteuren Coca Cola, Kraft Foods, Meggle und Dr. Oetker und auch der deutsche Handel ist mit Metro, Rewe, der Schwarzgruppe und Tengelmann bereits vor Ort vertreten.
Quelle: Berlin [ bve ]