RKI-Ratgeber Infektionskrankheiten – Merkblätter für Ärzte
Die Herausgabe dieser Reihe durch das Robert Koch-Institut erfolgt auf der Grundlage des § 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Praktisch bedeutsame Angaben zu wichtigen Infektionskrankheiten sollen aktuell und konzentriert der Orientierung dienen. Die Beiträge werden in Zusammenarbeit mit den Nationalen Referenzzentren, Konsiliarlaboratorien sowie weiteren Experten erarbeitet. Die Publikation erfolgt im Epidemiologischen Bulletin und im Internet (http://www.rki.de). Eine Aktualisierung erfolgt nach den Erfordernissen, aktualisierte Fassungen ersetzen die älteren.
RKI-Ratgeber Infektionskrankheiten – Merkblätter für Ärzte
Die Herausgabe dieser Reihe durch das Robert Koch-Institut erfolgt auf der Grundlage des § 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Praktisch bedeutsame Angaben zu wichtigen Infektionskrankheiten sollen aktuell und konzentriert der Orientierung dienen. Die Beiträge werden in Zusammenarbeit mit den Nationalen Referenzzentren, Konsiliarlaboratorien sowie weiteren Experten erarbeitet. Die Publikation erfolgt im Epidemiologischen Bulletin und im Internet (http://www.rki.de). Eine Aktualisierung erfolgt nach den Erfordernissen, aktualisierte Fassungen ersetzen die älteren.
Aktualisierte Fassung vom August 2005; Erstveröffentlichung im Epidemiologischen Bulletin 4/2000
Erreger
Noroviren (früher als Norwalk-like-Viren bezeichnet) wurden 1972 durch elektronenmikroskopische Untersuchungen entdeckt. Sie gehören zur Familie der Caliciviridae. Gemäß einer Festsetzung des „International Committee on Taxonomy of Viruses“ (ICTV) erfolgt eine Unterteilung der humanen Caliciviren in die beiden Genera „Norovirus“ (NV) und „Sapovirus“ (SV).
Das Virus zeichnet sich durch eine ausgeprägte Genomvariabilität aus. Aufgrund von genetischen Unterschieden in der Polymerase- und Kapsidregion unterteilt man in fünf Genogruppen (GG I bis V). Die drei humanpathogenen GGI, GGII und GGIV werden wiederum in wenigstens 20 Genotypen aufgeschlüsselt. Hinzu kommt, dass verstärkt auch rekombinante Noroviren gefunden werden. Noroviren der Genogruppe III (Jena Virus) und V (Maus Virus) sind nicht humanpathogen. Humane Noroviren lassen sich bisher nicht auf Kulturzellen vermehren.
Vorkommen
Noroviren sind weltweit verbreitet. Sie sind für einen Großteil der nicht bakteriell bedingten Gastroenteritiden bei Kindern (ca. 30 %) und bei Erwachsenen (bis zu 50 %) verantwortlich. Die Meldedaten des IfSG bestätigen, dass Kinder unter 5 Jahren und ältere Personen über 70 Jahre besonders häufig betroffen sind. Dies trägt dazu bei, dass Norovirus-Erkrankungen die überwiegende Ursache von akuten Gastroenteritis-Ausbrüchen in Gemeinschaftseinrichtungen, Krankenhäusern und Altenheimen sind. Sie können aber auch für sporadische Gastroenteritiden verantwortlich sein. Bei Säuglingen und Kleinkindern stellen sie nach den Rotaviren die zweithäufigste Ursache akuter Gastroenteritiden dar.
Infektionen mit Noroviren können das ganze Jahr über auftreten, wobei ein saisonaler Gipfel in den Monaten Oktober bis März zu beobachten ist.
Seit Einführung der Meldepflicht nach §§ 6 und 7 IfSG wurden im Jahr 2001: 9.223 Erkrankungen, 2002: 51.603, 2003: 41.716 und 2004: 64.893 Erkrankungen durch Noroviren an das Robert Koch-Institut übermittelt. In den Wintermonaten der Jahre 2002/2003 und 2004/2005 wurde eine erhebliche Zunahme an Norovirus-Ausbrüchen in Deutschland und auch in einigen europäischen Nachbarländern beobachtet. In beiden Zeiträumen wurden bei den Patienten überwiegend mutierte Varianten des Genotyps GG II.4 diagnostiziert.
Reservoir
Der Mensch ist das einzige bekannte Reservoir des Erregers. Der Nachweis von Caliciviren bei Tieren (Schweinen, Katzen und Kaninchen) steht derzeit in keinem erkennbaren Zusammenhang mit Erkrankungen des Menschen.
Infektionsweg
Die Viren werden über den Stuhl des Menschen ausgeschieden. Die Infektiosität ist sehr hoch, die minimale Infektionsdosis dürfte bei ca. 10–100 Viruspartikeln liegen. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral oder durch Bildung virushaltiger Aerosole während des Erbrechens. Das erklärt die sehr rasche Infektionsausbreitung innerhalb von Gemeinschaftseinrichtungen.
Die direkte Übertragung von Mensch zu Mensch ist in erster Linie die Ursache für die hohe Zahl an Norovirus-Infektionen. Infektionen können aber auch von kontaminierten Speisen (Salate, Krabben, Muscheln u.a.) oder Getränken (verunreinigtes Wasser!) ausgehen. Ebenso ist eine Übertragung durch kontaminierte Gegenstände möglich.
Inkubationszeit
Die Inkubationszeit beträgt ca. 10–50 Stunden.
Dauer der Ansteckungsfähigkeit
Personen sind insbesondere während der akuten Erkrankung und mindestens bis zu 48 Stunden nach Sistieren der klinischen Symptome ansteckungsfähig. Untersuchungen haben gezeigt, dass das Virus in der Regel 7–14 Tage, in Ausnahmefällen aber auch über Wochen nach einer akuten Erkrankung über den Stuhl ausgeschieden werden kann. Die sorgfältige Beachtung üblicher Hygieneregeln ist somit auch im Anschluss an die Erkrankung von außerordentlicher Bedeutung.
Klinische Symptomatik
Noroviren verursachen akut beginnende Gastroenteritiden, die durch schwallartiges heftiges Erbrechen und starke Durchfälle gekennzeichnet sind und zu einem erheblichen Flüssigkeitsdefizit führen können. In der Regel besteht ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl mit abdominalen Schmerzen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Myalgien und Mattigkeit.
Die Körpertemperatur kann leicht erhöht sein, meist kommt es jedoch nicht zu hohem Fieber. Wenn keine begleitenden Grunderkrankungen vorliegen, bestehen die klinischen Symptome etwa 12–48 Stunden. Auch leichtere oder asymptomatische Verläufe sind möglich.
Diagnostik
Für den Nachweis von Noroviren im Stuhl stehen derzeit 3 verschiedene Nachweismethoden zur Verfügung:
- die Amplifikation viraler Nukleinsäuren (RT-PCR),
- der Nachweis viraler Proteine (Antigen-EIA) und
- der elektronenmikroskopische Nachweis von Viruspartikeln.
Die Amplifikation viraler Nukleinsäuren weist eine hohe Sensitivität und Spezifität auf und ist besonders in Form einer real-time PCR zur raschen Aufklärung von Ausbrüchen geeignet.
Zudem kann bei gezielter Fragestellung durch die Sequenzierung von PCR-Produkten eine molekulare Differenzierung der Viren durchgeführt werden, die wertvolle Informationen zur Aufklärung von Ausbrüchen und Übertragungswegen und zur Bedeutung bestimmter Genotypen in der jeweiligen aktuellen epidemiologischen Situation liefert.
Für den Virusnachweis über virale Proteine stehen derzeit zwei kommerzielle Antigen-EIA-Kits zur Verfügung, die nach bisheriger Datenlage, insbesondere was die Sensitivität angeht, verbesserungsbedürftig sind. In Einzelfällen und bei schwerwiegenden Entscheidungen (z.B. vorübergehende Schließung einer Klinik/Station oder anderen Einrichtungen) ist eine Bestätigung durch den molekularen Virusnachweis angezeigt.
Eine Indikation zur Norovirus-Diagnostik besteht bei Patienten mit Durchfall (mit oder ohne Erbrechen), sofern keine andere Ursache für die Symptome bekannt ist. Insbesondere bei Häufungen von Durchfall und Erbrechen in Gemeinschaftseinrichtungen, Krankenhäusern und Altenheimen muss frühzeitig eine Diagnose angestrebt werden. Bei untypischer Symptomatik oder Umgebungsuntersuchungen bei asymptomatischen Personen ist eine Diagnostik nicht indiziert.
Therapie
Die Therapie erfolgt symptomatisch durch Ausgleich des z.T. erheblichen Flüssigkeits- und Elektrolytverlustes. Eine kausale antivirale Therapie steht nicht zur Verfügung. Insbesondere bei betroffenen Kleinkindern und älteren Personen kann eine kurzzeitige Hospitalisierung notwendig sein. Der Einsatz von Antiemetika bei Patienten mit starkem Erbrechen kann erwogen werden.
Präventiv- und Bekämpfungsmaßnahmen
1. Präventive Maßnahmen
Eine Impfung steht nicht zur Verfügung. Wichtig ist die konsequente Einhaltung der allgemeinen Hygieneregeln in Gemeinschaftseinrichtungen und Küchen. Zur Vermeidung einer Übertragung durch kontaminierte Speisen sollten insbesondere Gerichte mit Meeresfrüchten gut durchgegart sein.
2. Maßnahmen für Patienten und Kontaktpersonen (s. auch Punkt 3)
Zur Vermeidung einer Übertragung auf fäkal-oralem Wege oder beim Erbrechen (Kontakt zu Stuhl, Erbrochenem, kontaminierten Flächen) sind, insbesondere in der symptomatischen Phase, die Hygienemaßnahmen auszuweiten: Absonderung der erkrankten Personen, ggf. Kohortenisolierung/-pflege, Tragen von Handschuhen, Schutzkittel, ggf. geeigneter Atemschutz, konsequente Händehygiene, Händedesinfektion, Desinfektion von patientennahen Flächen, Toiletten, Waschbecken, Türgriffen.
Zur Desinfektion sind nur Präparate mit nachgewiesener viruzider Wirksamkeit [1] (www.rki.de > Infektionsschutz > Krankenhaushygiene > Desinfektionsmittel und -verfahren (§18 IfSG)) geeignet.
Nach § 34 Abs. 1 IfSG dürfen Kinder unter 6 Jahren, die an einer infektiösen Gastroenteritis erkrankt oder dessen verdächtig sind, Gemeinschaftseinrichtungen nicht besuchen. Die Einrichtung kann erst 48 Stunden nach dem Abklingen der klinischen Symptome wieder besucht werden. Ein schriftliches ärztliches Attest ist nicht erforderlich. Allerdings sollte auch dann noch verstärkt Wert auf die Hygiene gelegt werden. – Ebenso dürfen erkrankte Personen nicht in Lebensmittelberufen (definiert in § 42 IfSG) tätig sein und keine betreuenden Tätigkeiten in Gesundheits- und Gemeinschaftseinrichtungen ausüben. Eine Wiederaufnahme der Tätigkeit sollte frühestens 2 Tage nach dem Abklingen der klinischen Symptome erfolgen. In den folgenden 4–6 Wochen ist die Händehygiene am Arbeitsplatz besonders sorgfältig zu beachten. Bei Wiederauftreten der Symptomatik wird eine erneute Freistellung erforderlich.
[1] S. Prüfung und Deklaration der Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln gegen Viren. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz Band 47, Heft 1, Januar 2004: 62–66. Springer-Verlag 2004
3. Maßnahmen bei Ausbrüchen
Beim Auftreten von Norovirus-Erkrankungen in Gemeinschaftseinrichtungen und Altenheimen bildet die rasche klinische Abgrenzung auftretender Norovirus-Infektionen von anderen, z.B. durch Lebensmitteltoxine verursachten Gastroenteritiden die Grundlage einer effektiven Ausbruchprävention. Wenn die typische Symptomatik und die epidemiologischen Merkmale auf eine Norovirus-Infektion hindeuten, sollten aufgrund der epidemischen Potenz präventive Maßnahmen rasch und konsequent ergriffen werden, auch ohne die Bestätigung durch virologische Untersuchungen abzuwarten.
Die wichtigsten empfohlenen Maßnahmen sind:
- Isolierung betroffener Patienten in einem Zimmer mit eigenem WC;
- ggf. Kohortenisolierung;
- Unterweisung der Patienten hinsichtlich korrekter Händehygiene, Händedesinfektion mit einem viruzid wirksamen Händedesinfektionsmittel (s. auch Punkt 2) und Pflege der Patienten mit Einweghandschuhen, Schutzkittel und ggf. Mund-Nasen-Schutz (z.B. bei potenziellem Erbrechen oder Kontakt mit Erbrochenem);
- sorgfältige Händehygiene, Händedesinfektion mit einem viruzid wirksamen Händedesinfektionsmittel nach Ablegen der Einweghandschuhe und vor Verlassen des Isolationszimmers;
- tägliche (in Sanitärbereichen ggf. häufigere) Wischdesinfektion aller patientennahen Kontaktflächen inkl. Türgriffen mit einem Flächendesinfektionsmittel mit nachgewiesener viruzider Wirksamkeit (als Wirkstoffe sollten Perverbindungen oder Aldehyde bevorzugt werden);
- kontaminierte Flächen (z.B. mit Erbrochenem) sofort, nach Anlegen eines Mund-Nasen-Schutzes, gezielt desinfizierend reinigen;
- Pflegeutensilien personenbezogen verwenden und desinfizieren;
- Bett- und Leibwäsche als infektiöse Wäsche in einem geschlossenen Wäschesack transportieren und in einem (chemo-thermischen) Waschverfahren ≥ 60°C zu reinigen;
- Geschirr kann in der Regel wie üblich maschinell gereinigt werden;
- Kontaktpersonen (z.B. Besucher, Familie) sind auf die mögliche Mensch-zu-Mensch-(face-to-face)-Übertragung als Schmier- oder Tröpfcheninfektion (insbesondere bei Erbrechen) hinzuweisen und in der korrekten Händedesinfektion zu unterweisen;
- Minimierung der Patienten-, Bewohner- und Personalbewegung zwischen den Bereichen/Stationen, um die Ausbreitung innerhalb der Einrichtung nach Möglichkeit zu verhindern (Hinweis auf die Infektionsgefahr bei notwendiger Verlegung eines Erkrankten auf eine andere Station!);
- Verlegungen in andere Bereiche der stationären Versorgung oder zwischen Gemeinschaftseinrichtungen sollten erst 72 Stunden nach Auftreten des letzten Erkrankungsfalles aus einer von einem Ausbruch betroffenen Einrichtung erfolgen. Hiervon ausgenommen sind Patienten, die nach einer Erkrankung bereits genesen sind.
- Stationen oder Bereiche, die aufgrund eines Norovirus-Ausbruches für Neuaufnahmen von Patienten gesperrt waren, sollten frühestens 72 Stunden nach Auftreten des letzten Krankheitsfalles und nach erfolgter Schlussdesinfektion wieder geöffnet werden.
Zur Aufbereitung von Medizinprodukten verweisen wir auf die entsprechenden Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention („Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten“ sowie „Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung flexibler Endoskope und endoskopischen Zusatzinstrumentariums“ s. www.rki.de > Infektionsschutz > Krankenhaushygiene).
Zur ätiologischen Klärung ist die gezielte Diagnostik parallel zu den anderen üblichen Untersuchungen durchzuführen. Zur Zeit gilt als sicherster Nachweis für Noroviren die RT-PCR aus dem Stuhl. Bei größeren Ausbrüchen ist es nicht notwendig, alle Betroffenen zu untersuchen. In diesen Fällen genügt der Nachweis in der Regel bei 5 der betroffenen Personen, um dann bei den anderen Erkrankten aus der gleichen Umgebung mit ähnlichen Symptomen ebenfalls eine Norovirusinfektion zu diagnostizieren. Wichtig ist darauf hinzuweisen, dass hygienische Maßnahmen auch nach Sistieren der akuten Symptomatik von ausschlaggebender Bedeutung sind. Der Erregernachweis im Stuhl kann noch Monate nach Abklingen der Symptomatik positiv sein. Auf eine sorgfältige Händehygiene muss daher im Folgezeitraum geachtet werden.
Zur Zeit werden von vielen Laboren EIAs zum immunologischen Nachweis von Norovirusantigen im Stuhl angeboten. Diese Tests sollten aber im speziellen Einzelfall nicht als einzige Stütze der Diagnostik dienen. Für spezifische Fragen zur Norovirusdiagnostik steht das Konsiliarlabor für Noroviren (Adresse s.u.) zur Verfügung.
Im Hinblick auf die Vermeidung von Ausbrüchen sollte erkranktes Personal auch bei geringen gastrointestinalen Beschwerden von der Arbeit freigestellt werden und erst frühestens 2 Tage nach Ende der klinischen Symptomatik die Arbeit unter sorgfältiger Beachtung der Händehygiene wieder aufnehmen. Ist der Einsatz von Personal aus betroffenen Stationen in anderen Bereichen nicht vermeidbar, sollte die Inkubationszeit von bis zu 48 h berücksichtigt werden.
Meldepflicht
Für Leiter von Laboratorien ist nach § 7 IfSG der direkte Nachweis von Noroviren meldepflichtig.
Für Ärzte sind nach § 6 IfSG Krankheitsverdacht und Erkrankung an einer akuten infektiösen Gastroenteritis meldepflichtig, wenn die erkrankte Person eine Tätigkeit im Sinne des § 42 IfSG ausübt oder wenn zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemiologischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird.
Quelle: Berlin [ rki ]