Molekulargastronomen jonglieren mit Proteinen und Polymeren / Neue MaxPlanckForschung erschienen
Ein Physiker am Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung verbindet seine Forschung an Weicher Materie elegant mit Kochen als Wissenschaft. Bei dem "Molekulargastronom" Thomas A. Vilgis wird deshalb die Küche zum Labor. Die neueste Ausgabe der MaxPlanckForschung (4/2003) hat Vilgis besucht und beschreibt was passiert, wenn "Hard Science" auf "Haute Cuisine" trifft.Warum wird Fleisch durch Garen zart, aber durch zu langes Erhitzen zur zähen Schuhsohle? Was passiert beim Schlagen von Eischnee oder dem Klären von Butter? Mit solchen Fragen zur Chemie und Physik der Braten, Saucen oder Puddings beschäftigen sich Wissenschaftler, die sich "Molekulargastronomen" nennen. Thomas Vilgis zählt sich zu ihnen. Hauptamtlich erforscht er am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz die Eigenschaften von Polymeren, Biopolymeren und die komplexen Materialien, die diese aufbauen können.
Molekulargastronomen jonglieren mit Proteinen und Polymeren / Neue MaxPlanckForschung erschienen
Ein Physiker am Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung verbindet seine Forschung an Weicher Materie elegant mit Kochen als Wissenschaft. Bei dem "Molekulargastronom" Thomas A. Vilgis wird deshalb die Küche zum Labor. Die neueste Ausgabe der MaxPlanckForschung (4/2003) hat Vilgis besucht und beschreibt was passiert, wenn "Hard Science" auf "Haute Cuisine" trifft.Warum wird Fleisch durch Garen zart, aber durch zu langes Erhitzen zur zähen Schuhsohle? Was passiert beim Schlagen von Eischnee oder dem Klären von Butter? Mit solchen Fragen zur Chemie und Physik der Braten, Saucen oder Puddings beschäftigen sich Wissenschaftler, die sich "Molekulargastronomen" nennen. Thomas Vilgis zählt sich zu ihnen. Hauptamtlich erforscht er am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz die Eigenschaften von Polymeren, Biopolymeren und die komplexen Materialien, die diese aufbauen können.
Abb. 1: Die mikroskopische Aufnahme von Eischnee zeigt schön, dass die Wände der Luftbläschen wie Sandwiches aufgebaut sind: Im direkten Kontakt zur Luft stehen die grenzflächenaktiven Proteinschichten, dazwischen ist die wässrige Phase eingebettet.
Bild: MPI für Polymerforschung
Emulsionen, Suspensionen, Schäume, Gele, biologische Membranen oder Fasern bestehen aus sehr großen Molekülen. Diese Moleküle, oft Polymere, beeinflussen sich gegenseitig über viele Größenskalen hinweg: Sie reichen von Nanometern (milliardstel Meter) bis zu Mikro- oder sogar Millimetern. Das verleiht allen diesen Materialien komplexe und zugleich charakteristische Eigenschaften. Deshalb fassen Wissenschaftler sie heute unter dem Oberbegriff "Weiche Materie" zusammen, der für ein vielseitiges und sehr dynamisches Forschungsfeld steht. Zur Weichen Materie gehören alle biologischen Materialien - außer den Biomineralien in Knochen und Zähnen - und damit auch alles, was wir essen.
Ein interessanter Zugang zum Kochen ergibt sich zum Beispiel aus der Perspektive der Proteine, also der Eiweiße. Diese Biopolymere sind große Moleküle, die aus Tausenden von Atomen bestehen. In lebenden Organismen spielen sie in praktisch allen biochemischen Prozessen eine zentrale Rolle. Entscheidend ist dabei, dass diese Moleküle ihre Gestalt ändern können - und damit auch ihre biologische Funktionsweise: Manche Proteine können etwa zwischen einer blattartig gefalteten Gestalt und einer schraubenförmigen Helix umschalten. Solche Vorgänge lösen nach heutigem Wissen sogar Gehirnerkrankungen wie BSE aus.
Abb. 2: Blick auf die Gestalt eines teilweise "ausgewickelten" Protein-Modellmoleküls in verschieden Vergrößerungen. Links: Die stärkste Vergrößerung zeigt die Primärstruktur mit einzelnen Atomen, die nur 0,1 bis 0,2 Nanometer (milliardstel Meter) Abstand haben. Hier sieht man die Aminosäuren, die sich als Grundbausteine zum Protein verketten. Von ihrer Reihenfolge hängen die Funktion des Proteins und seine Sekundärstruktur (Mitte) ab: Diese kann aus verschiedenen Elementen wie Helices oder Faltblattstrukturen bestehen. Die Sekundärstruktur verknäult sich schließlich zur globuären, kugeligen Tertiärstruktur des kompletten Moleküls, die biologisch aktiv ist (rechts).
Bild: Helmut Rohrer
Thomas A. Vilgis und seine Mitarbeiter entwickeln neue mathematische Modelle, um zum Beispiel die Wirkungsweise von Antikörpern und Enzymen besser zu verstehen. Enzyme beschleunigen als Katalysatoren biochemische Reaktionen im Organismus, was viele Lebensfunktionen erst ermöglicht. Bestimmte Enzyme können aber auch beim Kochen helfen, beispielsweise als "Fleischzartmacher". Damit biologisches Gewebe fest und zugleich elastisch ist, durchziehen es Fasern aus Collagen. Diese Biopolymer-Fasern bestehen aus einer sehr stabilen molekularen Dreifachhelix - was aber das rohe Fleisch zäh macht. Das Erhitzen oder das Einwirken bestimmter Enzyme, zum Beispiel aus dem Saft frischer Ananas oder Feigen, kann das Collagen umwandeln: Die Dreifachhelices lösen sich auf und die Polymere verknüpfen sich zu einem losen räumlichen Netzwerk. Dabei entsteht ein Gel, das Fleisch wird zart.
Die Küche bietet unterschiedliche komplexe Materialien - und damit viel Futter für die wissenschaftliche Neugier von Molekulargastronomen. Hoch interessant sind zum Beispiel Grenzflächen: In Nahrungsmitteln bestehen sie meist aus einer nur wenige Nanometer dünnen Schicht geordneter Proteine. Solche Schichten können zum Beispiel Wasser und Fetttröpfchen miteinander verbinden, die sich sonst abstoßen. Dabei entstehen Emulsionen wie Milch und Butter. Molekulare Grenzflächen verleihen auch den Luftbläschen in Schäumen ausreichend Stabilität. Dazu müssen erst die Proteinmoleküle, die im Eiklar als Knäuel vorliegen, "ausgewickelt" werden: Das besorgt das Schlagen mit dem Schneebesen. Dabei wird aus dem transparenten Eiklar undurchsichtiges Eiweiß. Die veränderten Proteinmoleküle können nun die Wassermoleküle des Eis in feinen, sandwichartigen Membranen einschließen. Diese Membranen legen sich als stabile Hüllen um die Luftbläschen des Eischaums. Es verblüfft, dass ein so grobes Gerät wie ein Schneebesen die Gestalt von nur wenigen Nanometer kleinen Molekülen verändern kann. Die Nanotechnik hat also in der Küche eine lange Tradition!
MaxPlanckForschung 4/2003 ist jetzt erschienen. Das 76 Seiten umfassende Heft berichtet spannend und verständlich aus den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft. Im Fokus dieser Ausgabe stehen "Optische Horizonte": Das Mikroskop ist 400 Jahre alt - und noch immer nicht ausgereizt. Erleben Sie, mit welch ausgeklügelten Methoden die Wissenschaftler heute in die Welt des Kleinsten und Allerkleinsten reisen und welch fantastische Einblicke sie dabei gewinnen. Der Essay stellt die Frage "Wie viel Hirn braucht Intelligenz?", die Rubrik Forschung & Gesellschaft ("Zahlenspiele - Illusionen der Gewissheit") geht den Ursachen von Denkfehlern und Fehlurteilen auf den Grund, Wissen aus erster Hand widmet sich den Modellen über die Wirkung von Umwelt-Chemikalien. Weitere Beiträge im Heft: "Der große Kommunikator" (zum 100. Geburtstag von Konrad Lorenz) sowie "SUSY bei den Benediktinern" (ein ungewöhnliches Physikertreffen im Kloster Maria Laach).
MaxPlanckForschung erscheint viermal pro Jahr. Das Wissenschaftsmagazin kann bei der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft oder über unser Web-Formular abonniert werden. Der Bezug ist kostenlos.
Verwandte Links:
[1] MaxPlanckForschung im Internet: http://www.mpg.de/
Originalveröffentlichung:
N. Lee, T.A. Vilgis - Single chain force spectroscopy - reading the sequence of HP protein models - Eur. Phys. J. B 28, 415 (2002)
N. Lee, T.A. Vilgis - Preferential adsorption of hydrophobic-polar model proteins on patterned surfaces - Phys. Rev E 67, 050901 (2003)
E. Jarkova, N. Lee, T.A. Vilgis - Swelling behavior of responsive amphiphilic gels - J. Chem. Phys. 119, 3541 (2003)
Quelle: Mainz [ mpg ]